Mit den Ladies vom Lektürezirkel auf der Suche nach der queeren Utopie

Mit den Ladies vom Lektürezirkel auf der Suche nach der queeren Utopie

###Audio-Walk Queertopia###

‚Wenn du den Walk machen willst, bietet sich am besten ein Friedhof oder ein Park an –  groß genug, sich dort eine Stunde aufzuhalten.‘ So schreibt mir Anna Wegricht, die Autorin des Audio-Walks Queertopia, als sie mir den Link zum Download der mp3-Datei schickt. Ich wähle den städtischen Friedhof am Baumschulenweg und erfahre nach ein paar Minuten, dass ich in einer Heterotopie unterwegs bin, einem Anders-Ort. Gemeint sind mit Foucault Räume oder Orte, die durch ganz eigene Regeln geprägt sind und sich gesellschaftlichen Ordnungssystemen widersetzen. Kleine Inseln, in denen das Sein ganz anders funktioniert, als die große Welt es eigentlich vorschreibt. Anders-Orte also.

„Der Friedhof zum Beispiel ist ein Ort der Zeit, an dem die Zeit nicht mehr fließt“, erklärt mir meine akustische Begleiterin. Ein Ort, an dem die unsere Zeit so prägenden Gesetze des Utilitarismus abprallen, an dem sein kann, was ansonsten in unserer Gesellschaft keine Zeit, keinen Raum, kein Dasein findet.

Der Audiowalk als ortsbezogenes akustisches Kunstwerk ist auch eine Heterotopie. Ich bin physisch auf gefrorenen Friedhofswegen unterwegs, begleitet werde ich von einer Person, die wahrscheinlich noch nie hier gewesen ist, die jetzt möglicherweise keine kalten Füße hat. Gedanklich begleite ich diese Person bei ihrer Suche nach den Utopien einer queeren Gesellschaft. Zugleich bin ich in meiner eigenen Gedankenwelt zu den Themen Sex und Gender unterwegs, folge meiner Neugier, meinen Zweifeln, meinen Ideen. Queertopia selbst ist auch wieder eine Heterotopie. Und Heterotopien können, indem sie sich Bestehendem widersetzen, Utopien in sich tragen.

Die Autorin hat sich zwei Stimmen gegeben, die sich Gedanken und Fragen zuwerfen. Die mit mir als Hörendem sprechen. Und die gemeinsam mit den „Ladies vom Lektürezirkel“ – eine Gruppe Frauen in Thüringen, die gemeinsam Texte zu Sex und Genderforschung lesen – auf die Suche nach der queeren Utopie gehen, nach einem Ort der Differenzen, an dem alle anders sind aber gleichwertig.

Es entspannt sich ein lebhaftes, menschliches, engagiertes, zeitweilig lustiges, neugierig forschendes Gespräch über Fetische als Retter der heterosexuellen Normativität, über die Stimme als kontrasexuellem Element, über uns Menschen, die wir zu Cyborgs wurden, als wir begannen, uns mit Zweigen die Zähne zu putzen. Dass den Gesprächspartnerinnen Möhren als Geistesnahrung dienen, stört gar nicht, sondern verstärkt vielmehr die Illusion (?), gemeinsam mit ihnen unterwegs zu sein.

Queertopia ist ein kluger, wunderbar inspirierender Audiowalk über queeres Denken und feministisches Handeln, über das Versuchen von Vielfalt und das Einfordern von Gleichwertigkeit. Er ist wie ein Feature aufgebaut, Ausschnitte aus dem Gespräch des Lektürekreises werden von Zitaten sowie von fokussierenden Gedanken und Fragen der Autorin ergänzt. Die mutige Montage mit Überlappungen lässt manche Informationen das Ohr nur aus der Ferne streifen, während andere Informationen sich in den Vordergrund drängen. Ich als Hörender und Mitdenkender fühle mich am stärksten einbezogen, wenn meine reale Umgebung thematisiert wird. Wenn ich mir z.B. vorstellen soll, wie die Stimme einer Person klingt, die ich gerade sehen kann. Von solchen Elementen, die das Feature zu einem Audiowalk machen, hätte ich gern noch mehr gehabt.

Audio-Walk Queertopia wurde für die Hirschfeldtage 2016 produziert und uraufgeführt am 3.12.2016 in Weimar.

Premiere Queertopia

Foto: Premiere Queertopia (privat)

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