Wie viel Fiktion braucht ein Klimakrimi?
Audiowalk „Transformation“ von Alexandre Descoupigny
Der Ankündigungstext auf der Seite der Berliner KlimaKunstSchule macht mich neugierig. Ein Audiowalk, der sich damit befasst, wie über den Klimawandel diskutiert wird, wie sich wissenschaftliche Fakten und politische Meinungen bedingen und sich Klima-Positionen in der Gesellschaft durchsetzen. Verpackt in einen Audiokrimi, der am Potsdamer Platz spielt.
Ich lade mir die Datei herunter, drucke den zugehörigen Navigationsplan aus und fahre zum Potsdamer Platz. Ein Ort, an dem ich schon oft umgestiegen bin, an dem ich mich aber so gut wie nie länger aufgehalten habe.
Der Audiotrack ist als fiktionale Geschichte aufgebaut und spielt in der nahen Zukunft. Ich gehe in den Spuren der Hauptfigur, ein Mitarbeiter des fiktiven Ministeriums für ökonomische und ökologische Zukunftsfragen. Er hat am Potsdamer Platz eine Verabredung mit einer Klimaaktivistin, die hochsensible Daten aus der Klimaforschung besitzen könnte. Um vor dem Treffen mehr über die Aktivistin zu erfahren, beschließt die Hauptfigur, sie heimlich zu verfolgen, wie sie sich über den Platz bewegt.
Dies macht den Großteil des Audiowalks aus: Die Verfolgung einer fiktiven Figur, über die man nach und nach etwas mehr erfährt. Zum Beispiel, dass sie Wissenschaftlerin ist, aber auch viel Zeit mit südamerikanischen Schamanen verbracht hat. Dass sie mit Menschen aus dem Untergrund in Kontakt steht (in den Potsdamer Platz Arkaden lausche ich als Teilnehmer solch einer Begegnung), gleichzeitig aber auch mit ranghohen Wissenschaftlern verkehrt. Eine mysteriöse Figur, die mit ihrem Wissen die Klimapolitik radikal verändern könnte. Welches Wissen das ist, erahnt man erst nach einer guten halben Stunde. Über weite Strecken geht es vor allem darum, das Mysteriöse zu etablieren und sich als Beobachter und Verfolger über den Platz zu bewegen.
Insgesamt funktioniert das Stück wie ein Hörspiel. Zu hören sind Musik, Straßengeräusche und die Stimmen verschiedener Figuren. Die Hauptfigur führt durch die Geschichte und spricht mich als Teilnehmer direkt an, gibt mir genaue Anweisungen, wie ich gehen soll und wo ich verweilen soll.
Während des Walks komme ich an Orte, an denen ich noch nie gewesen bin. Ich betrete das Sony Center zum Beispiel durch ein kleines Birkenwäldchen, das mir noch nie vorher aufgefallen ist. Ich gehe an kleinen Wasserläufen und Schilfgärten vorbei, die mir bisher unbekannt waren. Alles eingebettet in die brutal sterile und übereffiziente Architektur des Potsdamer Platzes. Ein Ort, an dem die Natur sich der Effizienz zu beugen hat und in schnurgerade Bahnen gelenkt wird. Jede einzelne Birke wächst aus einem Loch in einer Metallplatte. Hier gibt es einen erkennbaren Bezug zum Thema des Klimawandels. „Wenn ich hier arbeite oder lebe, was interessiert mich da überhaupt das Klima? Hier wird doch nichts passieren. Hier gibt es Klimaanlagen und Gärtner und den Sicherheitsdienst“, heißt es dazu in dem Track.
Ich bin fasziniert von den vielen Hochhausschluchten und Wasserläufen. Die fast surreal wirkende Umgebung passt auch gut zu der Stimmung des Mysteriösen. Doch leider verliert sich die Geschichte im Laufe der fünfzig Minuten Dauer ein wenig in ihrem fiktionalen Überbau.
Alles bewegt sich auf die Begegnung mit der mysteriösen Frau und der Übergabe der brisanten Informationen zu, doch zu dieser Begegnung kommt es nicht wirklich. Man erfährt zwar, dass sie Daten besitzen könnte, die beweisen, dass die Klimaforschung bisher falsche Schlüsse gezogen hat. Aber alles bleibt im Fiktionalen, verstärkt dadurch, dass sich die Geschichte in der Zukunft abspielt. Leider geht es kaum darum, wie Forschung und Politik tatsächlich ihre Schlüsse ziehen, wie sie zusammenarbeiten, welche unterschiedlichen Positionen und Forderungen es im realen Klimadiskurs gibt.
Der Klimawandel ist an sich schon komplex und brisant genug. Die Fiktion lenkt mich davon eher ab, als dass sie mir neue, erhellende Perspektiven bietet.
Ich habe durch diesen Walk mir unbekannte Orte entdeckt und zum ersten Mal die radikale Büro- und Konsum-Architektur am Potsdamer Platz wirklich auf mich wirken lassen. Das war beeindruckend, auch weil der Audiowalk hin und wieder den Bezug zwischen Architektur und Umgang mit Natur verdeutlicht hat. Wirklich Neues habe ich über das komplexe Thema des Klimawandels aber kaum erfahren. Dafür ist der Walk zu sehr mit dem fiktionalen Spannungsbogen beschäftigt. Mehr Verankerung im realen Diskurs und der realen Problematik des Klimawandels hätten diesen Walk für mich noch interessanter gemacht.
Informationen zum Audiowalk:
Titel: Transformation
Macher: Alexandre Descoupigny
Herausgegeben von: KlimaKunstSchule
Ort: Potsdamer Platz in Berlin
Dauer: circa fünfzig Minuten
Foto: Massimo Maio