How To Hörspaziergang
Ein Leitfaden zur Produktion von Audiowalks
AUDIOWALK und HÖRSPAZIERGANG sind Begriffe, die bis jetzt keine feste Definition und kein eindeutiges Zuhause gefunden haben. Worauf sich wohl die meisten einigen können: Bei einem Audiowalk hörst du beim Gehen z.B. über Kopfhörer ein Hörstück, das sich auf den Ort bezieht, an dem du bist. Audiowalks können Elemente von Performance, Tanz und Theater enthalten, sie können reine Klangkunst-Projekte sein, sie können als Hörspiele im öffentlichen Raum oder als Streetgames funktionieren, sie können Vermittlungs-, Beteiligungs- und soziokulturell inspirierte Projekte sein. Allen Formen ist gemein, dass durch die Überlagerung von realem und medialem Raum sowie durch die Gleichzeitigkeit von imaginiertem und physischem Erlebnis, eine ganz besondere ortsbezogene ästhetische Erfahrung entsteht.
Ein gelungener Hörspaziergang ist ein gemeinsamer Tanz von Ort, Inhalt, Gestaltung und Technik. Was helfen kann, dass die vier Elemente einen Rhythmus finden, ohne einander beim Tanzen auf die Füße zu treten, haben wir mit How to Hörspaziergang zusammengetragen.
Du findest hier eine Sammlung von Hintergrundinformationen, Good-Practice-Beispielen, praktischen Tipps und theoretischen Überlegungen, die aus unserer eigenen künstlerischen Praxis heraus entstanden ist. Ein „Work in Progress“, so wie die Kunstform Audiowalk selbst.
Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir in der Regel das generische Femininum und hoffen, dass mit dieser grammatikalischen Form alle Geschlechter inkludiert sind.
Im Manuskript werden die Sprecherinnentexte ausformuliert, Transkripte aus Interviewpassagen ausgewählt und durch Regieanweisungen ergänzt. Das Schreiben des Manuskripts ist der Arbeitsschritt, bei dem es am meisten Ausdauer braucht und auch den Mut, sich von unwichtigen Details zu trennen. Teil des Prozesses sind Testläufe vor Ort. Bei diesen werden Textlänge, Gehgeschwindigkeit und Wegdauer aufeinander abgestimmt und es wird geklärt, ob das Zusammenspiel von Umgebung und Erzählung funktioniert.
Wenn du prüfen möchtest, ob die Grammatik stimmt und alle Sätze gut formuliert sind, solltest du am besten deinen Text laut vorlesen.
Die Sprecherinnen und auch die Sounddesignerin freuen sich über ein übersichtliches Layout.
Es bietet sich an, mit einer Legende zu arbeiten, die auf das jeweilige Dokument angewandt wird. Zum Beispiel: Namen der jeweiligen Sprecherinnen: bold, Sprechtext: regular, Regieanweisungen: kursiv.Große Schriften machen das Lesen und Sprechen einfacher. Für die Formatierung des Textes sind daher 16 – 18 Punkt mit einem Zeilenabstand von 1,5 Zeilen angemessen (wenn möglich darauf achten, dass es keine unschönen Satz-Trennungen zwischen den Seiten gibt, das erleichtert den Lesefluss) und ein breiter Rand für Notizen.
Um zu einem Manuskript zu gelangen, braucht es mehrere Arbeitsschritte. Ähnlich wie beim Schreiben eines Filmdrehbuchs bieten sich unterschiedliche Varianten, wie das Schreiben eines Exposés oder von Outlines, an.
Ich möchte hier auf die Logline und die Step-Outline eingehen.
Logline
Die Logline bringt mit einem Satz (oder zwei bis drei Sätzen) auf den Punkt, worum es in dem Walk geht. Die Logline ist wichtig für den gesamten Arbeitsprozess bis hin zum finalen Skript – so lässt sich abgleichen, ob greifbar wird, worum es geht oder ob die Autorin vom Thema abkommt.
Step-Outline
Hier werden die einzelnen Szenen und der Aufbau in jeweils ein bis drei Sätzen festgehalten. Mit diesem Tool lassen sich leicht Änderungen vornehmen, falls der dramaturgische Aufbau unstimmig ist. In der Step-Outline wird auch der Ortsbezug herausgearbeitet.
Sehr wichtig ist der Schutz des Mikrofons vor Wind, Stößen, Atemgeräuschen oder ähnlichem. Deswegen sollte man bei der Aufnahme (fast) immer mithören und auf jeden Fall Gegenmaßnahmen treffen: Ein Poppschutz bei Studioaufnahmen, ein Windschutz oder sogar ein Windkorb draußen ist in diesen Momenten unerlässlich. Ein Windschutz ist auch dann wichtig, wenn das Mikrofon in ein Aufnahmegerät integriert ist (Mobilrekorder). Prinzipiell kann es sich lohnen, das Equipment für diese verschiedenen Zwecke zu leihen. Das geht beispielsweise bei Online-Verleihfirmen oder Filmverleihdiensten, die sich öfter in Großstädten finden. Oft kann dir deren Beratung auch bei deinem Projekt helfen. Das ermöglicht es auch, verschiedene Varianten von Mikrofonen kennen zu lernen. Denn: sie bilden eben nicht 1:1 die Umgebung ab, wie wir sie hören, sondern haben immer einen Fokus, eine bestimmte Richtung.
Um ein natürliches Hörerlebnis kunstvoll und virtuos nachzubilden – zum Beispiel den Klang des Ozeans – reicht es nicht, einfach mit einem Stereomikrofon am Strand auf Record zu drücken. Der Klangforscher Bernie Kraus hat das bei seinen Naturaufnahmen erkannt: „Es gibt kein Mikrofon, das darauf ausgelegt ist, Meereswellen aufzunehmen. Also musste ich sie aus verschiedenen Perspektiven aufnehmen – aus der Nähe, dem Nahfeld und dem Fernfeld – und später die Signale so zusammenmischen, dass sie in unserem geistigen Ohr eine Illusion von Tiefe, Breite und dem Strand mit eben dieser Welle entstehen lassen.“ Und das kann man auf seinen Aufnahmen hören. Ein Stichwort ist dabei besonders spannend: Nähe. Du kannst mit deinem Mikrofon besondere Eindrücke erzielen, wenn du ganz nah an dein Objekt herangehst und aufnimmst. Eine Stimme, dicht am Mikrofon flüsternd, hat eine spezielle, oft sehr intime Wirkung – ASMR wäre hier das Google-Stichwort.
Zu guter Letzt sei auf ein paar außergewöhnliche Mikrofone verwiesen, die es lohnt auszuprobieren: Körperschallmikrofone, die, auf der Oberfläche von Klangkörpern angebracht, nur Vibrationen aufnehmen, Hydrophone für Unterwasseraufnahmen und 360 Grad Mikrofone. Diese erzeugen aus dem aufgenommenen Sound eine virtuelle dreidimensionale akustische Welt, die sich mitbewegt, wenn du deinen Kopf drehst. Für Audiowalkmacherinnen sicher spannend.
Doch noch einmal zurück zur Stimmung und den Gefühlen. Hier kann Musik einiges leisten: Sie kann das Erzählte vorantreiben, unterstützen und untermalen. Sie kann aber auch Kontrapunkte setzen und zum Beispiel einen Text düster und dunkel wirken lassen. Sie kann Orte oder Protagonisten charakterisieren. Hier lohnt sich übrigens ein Blick auf die Leitmotiv-Technik bei Richard Wagner. Musik kann auch eine Art Rhythmus schaffen, etwa, wenn du sie als trennendes Element zwischen Szenen, Orten oder Erzählmomenten nutzt oder um eine bestimmte Gehgeschwindigkeit anzuregen.
Dabei gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie Musik in einer Szene eingebaut werden kann. Die wichtigste Unterscheidung: Sie kann diegetisch oder nicht-diegetisch sein. So teilt man das im Filmsounddesign auf: Diegetisch ist jene Musik, die die Charaktere der Erzählung ebenfalls hören können, die also – wie die Tanzmusik in Dirty Dancing – direkter Bestandteil der Handlung sind. Nicht-diegetische Musik ist nur für die Rezipientinnen, als Untermalung oder als Kontrapunkt zu hören.
Soweit der Filmsound. Im Audiowalk kommt noch etwas Spannendes hinzu: hier kann Musik auf zweierlei Ausspielwegen auftauchen: per Kopfhörer oder aus der realen Umgebung. Ein Beispiel: Du machst einen Audiowalk, der auf seiner Audiospur ein historisches Stadtfest wiederauferstehen lässt, während sich die Laufenden über den leeren Platz bewegen. Die Tanzmusik kommt über Kopfhörer und ist diegetisch. Aber vielleicht steht am Ende deines Audiowalks einer der Protagonisten auf dem Platz und musiziert live auf seiner Geige. Aus diesem diegetischen Spiel zwischen Kopfhörer und realer Welt ergeben sich viele Gestaltungsmöglichkeiten: zum Beispiel, wenn Musik, die erst diegetisch (Marktplatz-Musik vor Ort) auftaucht, dann als diegetische Kopfhörer-Musik in einer fiktiven Szene auftaucht und zuletzt als nicht-diegetische Musik über Kopfhörer, welche die Erzählung untermalt. Musik wird zum verbindenden Element zwischen Fiktion und Erzählung, zwischen Außen und Innen.
Die Initiative für dieses Projekt kam vom Kulturkosmos Leipzig e.V. Die inhaltliche Umsetzung lag bei den Soundmarkern, dem Labor für ortsbezogene Audioarbeiten. Technische und inhaltliche Beratung bekamen wir von Guidemate, der Plattform für Audiowalks.
Projektträger
Autor*innen
Beratung
Enstanden mit Unterstützung durch