How To Hörspaziergang
Ein Leitfaden zur Produktion von Audiowalks
AUDIOWALK und HÖRSPAZIERGANG sind Begriffe, die bis jetzt keine feste Definition und kein eindeutiges Zuhause gefunden haben. Worauf sich wohl die meisten einigen können: Bei einem Audiowalk hörst du beim Gehen z.B. über Kopfhörer ein Hörstück, das sich auf den Ort bezieht, an dem du bist. Audiowalks können Elemente von Performance, Tanz und Theater enthalten, sie können reine Klangkunst-Projekte sein, sie können als Hörspiele im öffentlichen Raum oder als Streetgames funktionieren, sie können Vermittlungs-, Beteiligungs- und soziokulturell inspirierte Projekte sein. Allen Formen ist gemein, dass durch die Überlagerung von realem und medialem Raum sowie durch die Gleichzeitigkeit von imaginiertem und physischem Erlebnis, eine ganz besondere ortsbezogene ästhetische Erfahrung entsteht.
Ein gelungener Hörspaziergang ist ein gemeinsamer Tanz von Ort, Inhalt, Gestaltung und Technik. Was helfen kann, dass die vier Elemente einen Rhythmus finden, ohne einander beim Tanzen auf die Füße zu treten, haben wir mit How to Hörspaziergang zusammengetragen.
Du findest hier eine Sammlung von Hintergrundinformationen, Good-Practice-Beispielen, praktischen Tipps und theoretischen Überlegungen, die aus unserer eigenen künstlerischen Praxis heraus entstanden ist. Ein „Work in Progress“, so wie die Kunstform Audiowalk selbst.
Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir in der Regel das generische Femininum und hoffen, dass mit dieser grammatikalischen Form alle Geschlechter inkludiert sind.
Es ist offensichtlich, dass diese Kategorien bei der Anmeldung der meisten Audiowalks wohl nicht sehr viel helfen. Zusätzlich erinnert die GEMA auf unsere Anfrage daran, dass durch einen Audiowalk durchaus auch Herstellungs- und Vervielfältigungsrechte betroffen sein können. Es bleibt also nur je nach Fall genauer nachzuforschen (eine Übersicht findet sich hier: https://www.gema.de/de/musiknutzer/tarifuebersicht) und in jedem Fall die GEMA-Mitarbeiterinnen selbst zu kontaktieren. Doch das Grundproblem bleibt bestehen: Audiowalks fallen aus dem Raster der GEMA. Das bedeutet: Fehler bei der Anmeldung sind wahrscheinlich und können im Zweifel kostspielig werden – wovon uns einige Audiowalk-Macherinnen berichteten. Wir haben die GEMA auf das grundsätzliche Problem aufmerksam gemacht und hoffen, dass sich die Anmeldung in Zukunft einfacher gestaltet. Wenn wir die GEMA wiederholt auffordern, hier nachzubessern, könnte das vielleicht Effekte haben.
Die GEMA legt Wert darauf, dass ihre Rechte gewahrt werden. In ihrem Auftrag arbeiten mehrere Anwaltskanzleien, die in der Regel bereits dann tätig werden, wenn nur der Verdacht eines Verstoßes gegen das Urheberrecht besteht. Auch der Kulturkosmos Leipzig e. V. hat diese Erfahrung schon gemacht und musste nach einem Kulturfestival eine unbegründete Forderung über 1000 Euro abwehren. Den Erfahrungsbericht kannst du hier nachlesen: [→ https://volxmusik.de/gema-gibt-wieder-mal-auf.html ]
Dabei gehen die Möglichkeiten, die Geschichte(n) eines Ortes im Audiowalk zu behandeln, weit über eine reine Wissensvermittlung zu Sehenswürdigkeiten und historischen Ereignissen hinaus. Im Audiowalk lassen sich unterschiedliche Perspektiven, Themen und Zeiten überlagern, ineinanderschieben und gegenüberstellen, indem verschiedene akustische Bausteine collagenartig zusammengefügt werden. Solche Bausteine können → O-TÖNE von Zeitzeuginnen sein, Ausschnitte historischer Radiobeiträge (→ ARCHIV), historische Zitate oder Passagen aus Interviews mit Expertinnen. Unterschiedliche Sichtweisen auf ein historisches Ereignis oder die Veränderung eines Ortes über die Jahre hinweg können dokumentiert und durch den Perspektivwechsel zugleich infrage gestellt werden.
Im Audiowalk Memory Field von Janet Cardiff und George Bures Miller, der verschiedene Epochen und politische Ordnungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert miteinander verknüpft, wird die durchschrittene Landschaft als Erinnerungsspeicher bezeichnet. In diesem Walk wird auf eine antike Mnemotechnik verwiesen: bei der Merkmethode „Gedächtnispalast“ werden Erinnerungsbilder bei einem gedanklichen Rundgang durch ein imaginiertes Haus abgelegt. Bei Bedarf können sie wieder abgerufen werden, indem man dieselben Wege im Haus erneut gedanklich abschreitet. Die Erinnerungsversuche in Memory Field münden in der Erkenntnis, dass alles Vergangene immer aus der Gegenwart heraus gedacht und im Prozess des Erinnerns verändert wird.
Audiowalks können erzählen, wie es vermutlich war – aus einer oder aus mehreren Perspektiven. Sie können vermitteln, was an einem bestimmten Ort wahrscheinlich passiert ist, und zugleich auf Forschungslücken oder widersprüchliche Erkenntnisse hinweisen. Audiowalks können auch fragen, was passiert wäre, wenn…, oder wie es gewesen sein könnte, falls …
Ein Audiowalk zu Geschichte und Erinnerung eines Ortes kann rein dokumentarischen Charakter haben. Fiktionale Elemente (→ FIKTION) können die historische Dokumentation ergänzen. Ein Audiowalk kann aber auch spielerisch eine rein fiktive Historie in einen Ort hineinlegen und so die Geschichte eines Ortes neu erfinden.
Beispiel: Memory Field von Janet Cardiff und George Bures Miller, Jena-Cospeda 2006
Wegweisender Audiowalk, der bei einem Gang über ein historisches Schlachtfeld verschiedene Zeitschichten miteinander verwebt (binaurale Aufnahmetechnik, die räumliches Hören ermöglicht, typisch für Cardiff/Miller)
Beispiel: ZurückERZÄHLT von Joel Vogel und Vincent Bababoutilabo, Berlin 2022
Ein dekolonialer Hörspaziergang, der Geschichten von den 106 Schwarzen Kindern, Frauen und Männern erzählt, die 1896 Darstellerinnen der ersten Deutschen Kolonialausstellung im Treptower Park in Berlin waren.
Beispiel: 50 Aktenkilometer - Ein begehbares Stasi-Hörspiel von Rimini Protokoll, Berlin 2011
Wegweisender Audiowalk, der Tondokumente des Staatssicherheitsdienstes der DDR beim Durchlaufen von über 100 sogenannten akustischen Blasen mitten in Berlin hörbar macht. Der Audiowalk liefert keine festgelegte Reihenfolge der Hörstücke und gibt auch keine Laufroute vor, sondern lädt zum freien Umherschweifen ein.
Die Initiative für dieses Projekt kam vom Kulturkosmos Leipzig e.V. Die inhaltliche Umsetzung lag bei den Soundmarkern, dem Labor für ortsbezogene Audioarbeiten. Technische und inhaltliche Beratung bekamen wir von Guidemate, der Plattform für Audiowalks.
Projektträger
Autor*innen
Beratung
Enstanden mit Unterstützung durch