How To Hörspaziergang
Ein Leitfaden zur Produktion von Audiowalks

AUDIOWALK und HÖRSPAZIERGANG sind Begriffe, die bis jetzt keine feste Definition und kein eindeutiges Zuhause gefunden haben. Worauf sich wohl die meisten einigen können: Bei einem Audiowalk hörst du beim Gehen z.B. über Kopfhörer ein Hörstück, das sich auf den Ort bezieht, an dem du bist. Audiowalks können Elemente von Performance, Tanz und Theater enthalten, sie können reine Klangkunst-Projekte sein, sie können als Hörspiele im öffentlichen Raum oder als Streetgames funktionieren, sie können Vermittlungs-, Beteiligungs- und soziokulturell inspirierte Projekte sein. Allen Formen ist gemein, dass durch die Überlagerung von realem und medialem Raum sowie durch die Gleichzeitigkeit von imaginiertem und physischem Erlebnis, eine ganz besondere ortsbezogene ästhetische Erfahrung entsteht.
Ein gelungener Hörspaziergang ist ein gemeinsamer Tanz von Ort, Inhalt, Gestaltung und Technik. Was helfen kann, dass die vier Elemente einen Rhythmus finden, ohne einander beim Tanzen auf die Füße zu treten, haben wir mit How to Hörspaziergang zusammengetragen.
Du findest hier eine Sammlung von Hintergrundinformationen, Good-Practice-Beispielen, praktischen Tipps und theoretischen Überlegungen, die aus unserer eigenen künstlerischen Praxis heraus entstanden ist. Ein „Work in Progress“, so wie die Kunstform Audiowalk selbst.
Aus Gründen der Lesbarkeit verwenden wir in der Regel das generische Femininum und hoffen, dass mit dieser grammatikalischen Form alle Geschlechter inkludiert sind.
Im Hörspaziergang wurde an dieser Stelle der Literaturbetrieb in der Planwirtschaft der DDR behandelt. Die frisch fertig gewordene Audioproduktion hatte kein Budget mehr für erneute Studiomiete und Sprecherinnenaufnahmen. Also blieb nur das geschickte Kürzen, das zwar den Inhalt erhielt, aber nicht mehr zum Eintreten und In-den-Regalen-Stöbern einlud.
Wenn deine Produktion im öffentlichen Raum spielt und länger als für die Zeit eines Festivals bestehen soll, wirst du dir Gedanken darüber machen müssen, ob und wie sie aktuell bleiben kann. Ladenlokale ändern sich. Baustellen können Wegeführungen blockieren. Kunstwerke werden ab- und an anderen Orten wieder aufgestellt. Parks werden umgestaltet. Narrative über Plätze entwickeln sich weiter …
Soll dein Werk vielleicht eine Momentaufnahme und ein Zeitzeugnis sein? Der Familienaudiowalk Der Kater vom Helmholtzplatz (stadt im ohr) ist so ein Beispiel: Der Prenzlauer Berg in Berlin hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht. Fast keine der Institutionen, die Socks, der titelgebende Held, besucht, existiert heute noch. Inzwischen ist die im Plot noch ganz reale Zoohandlung ebenso Geschichte, wie es der Pferdestall im Hinterhof schon zur Zeit von Socks\' Kiezerkundung war. Das Büro der Kinderrächtszänker ist nur noch im O-Ton lebendig und Zeugnis eines vergangenen gesellschaftlichen Aufbruchs. Da dieser Audiowalk die Veränderlichkeit von Stadt zum Thema hat, wird er weiterhin der Öffentlichkeit angeboten. Hier laufen die Spaziergängerinnen in einer Gegenwart, die staunend auf die Geschichte blickt. Da geht man dann schon mal verloren und fragt sich, was war real, was ist Fiktion?
Vielleicht entscheidest du aber auch, dass dein Walk langfristig und zeitlos sein soll. Dann solltest du deine Inhalte so formulieren, dass sie auch in ein paar Jahren noch funktionieren.
„Dieses Jahr ...“, „letzten Sommer ...“, „… gerade jetzt zur Buchmesse …“ , „... die derzeitige Bundesregierung …“ das sind alles Formulierungen, die du mit wachem Auge aufspüren und ersetzen solltest. Verwende lieber konkrete Jahreszahlen, auch wenn sich das bei aktuellen Ereignissen etwas holprig anhört.
„Als im Sommer 2023 How to Hörspaziergang erschien, waren die Autorinnen und Autoren überrascht über die große Resonanz, die das Tutorial fand.“
Auch für Orte gilt: sie ändern ihr Gesicht. Vor allem ändern sich die Nutzungsarten von Gebäuden. Achte daher bei der Wegeführung darauf, eher langlebige Orientierungspunkte zu verwenden. Also zum Beispiel: „ … am Haus mit den Säulen nach links einbiegen“ statt: „An der Apotheke links.“
Aktualisierung de luxe hieße, du bleibst mit deinem Walk inhaltlich auf dem neuesten Stand. Das versucht zum Beispiel der Audiowalk Werkstatt Wedding von Massimo Maio. Bestandteil dieser akustischen Erkundung ist eine Umkehrung des Sender-Empfänger-Modells. Die Hörspazierenden werden im Laufe des Walks eingeladen, eine Nummer anzurufen. Telefonisch begegnen sie der Protagonistin des Walks, die sie zu einer aktuellen Beschreibung der Umgebung einlädt. Das Gesagte wird aufgenommen und geht ein in eine Collage aus Ortsbeschreibungen, die immer wieder aktualisiert wird und mit der der Audiowalk endet.
Die Anrede „du“ ist heute gang und gäbe. Mit einem „du“ gelingt es dir wahrscheinlich leicht, die Hörenden in den von dir geschaffenen Kosmos hineinzuziehen und eine emotionale Nähe herzustellen. Doch das „du“ kann auch aufdringlich wirken. Manche Hörerin empfindet es vielleicht auch als distanzlos oder als sprachliche Laxheit. Halte dir vor Augen, wer dein Zielpublikum ist und wähle die entsprechende Form der Ansprache aus. Überlege, wie nahbar die Erzählstimme in deinem Stück sein soll. Vielleicht findest du das distanziertere, förmlichere und oft auch als seriös empfundene „Sie“ angemessener. Möglicherweise wählst du auch ein Format, in denen die Hörenden gar nicht direkt angesprochen werden, oder in der die Erzählstimme ausschließlich das Pronomen „ich“ verwendet.
In Archiven lassen sich Zeitzeugnisse in zahlreichen Formen finden: es gibt private und geschäftliche Briefe, Protokolle, Notizen, Tagebücher, Zeitungen. Des Weiteren stehen dir Sound-Datenbanken, Radioarchive, Sammlungen mit Original-Tönen und Zeitzeugeninterviews, Tonspuren von Film- und Fernsehproduktionen und weitere Quellen zur Verfügung, aus denen historisches Material als O-Ton in deinen Walk einfließen kann.
So unterschiedlich das Archivmaterial ist, so unterschiedlich können die Ansätze sein, mit ihm zu arbeiten: Soll eine thematische Soundcollage entstehen? Oder soll das Archivmaterial dazu dienen, unsere Gegenwart zu reflektieren?
Historisches Material kann dabei helfen, die Sprache aus einer anderen Zeit nachzuempfinden und ein Gefühl zu vermitteln, wie Menschen vergangener Epochen gedacht haben könnten. Die gewählten Sprach- und Sprecharten können verschiedene Zeitebenen voneinander abgrenzen.
Zitierst du zum Beispiel eine Person aus dem frühen 20. Jahrhundert, wird sie sich klar in der Wortwahl von heute unterscheiden.
Wichtig ist, dass du die Rechte klärst, bevor du das Tonmaterial verwendest. Die Kosten können erheblich sein, besonders bei großen Archiven. Wenn die Möglichkeit besteht, die Urheberin oder den Urheber direkt anzuschreiben, kann es ein freundliches Entgegenkommen geben. Grundsätzlich gilt in Deutschland, dass das Urheberrecht 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers erlischt. Vielleicht kannst du bei der Arbeit an deinem Projekt mit einem Rundfunksender kooperieren, sodass du kostengünstig Archivmaterial nutzen kannst und Unterstützung bei der Klärung von Rechten und vielleicht sogar Hilfe bei der Finanzierung erhältst. Gerade im Audiobereich ist die Frage nach der Urheberschaft nicht immer leicht und eindeutig zu beantworten. Wenn du zum Beispiel eine Komposition von Clara Schumann für deinen Hörspaziergang nutzen willst, musst du zwar kein Geld an die ursprüngliche Urheberin zahlen, es kommen aber möglicherweise Kosten für die Rechte des Pianisten und der Plattenfirma auf dich zu. [→GEMA]
Im Griechischen bedeutet das Wort: Dunst, Dampf, Hauch. Wir könnten also auch von einem „Geräusch-Nebel“ sprechen. Atmo ist ihrer Wirkung nach etwas diffundierendes, räumliches, umhüllendes, umfassendes. Diese Wirkung entsteht nicht plötzlich, direkt und abrupt, sondern ist eher untergründig und subtil. Umso stärker kann sie jedoch sein und das gesamte Geschehen einfärben.
Eine Atmo enthält meist sehr spezifische Informationen über den Raum, aus dem sie stammt – selbst dann, wenn sie diesen Raum künstlich herstellt. Man hört, ob Bäume Blätter tragen und wie das Wetter ist, am Reifengeräusch eines Autos merkt man, ob der Boden nass ist. Manchmal hört man aufgrund der Schallreflexionen sogar, wo eine Mauer steht oder erahnt die Beschaffenheit ihrer Oberfläche.
Man nutzt Atmos im Radio oder Film oft, um dem Publikum eine Orientierung zu geben und das Geschehen zu verorten. In Audiowalks haben Atmos naturgemäß eine andere Funktion, da man sich ja an einem Ort befindet, der seine eigenen Geräusche mitbringt. Hört man während eines Audiowalks durch einen Wald eine Fabrik-Atmo, entsteht sofort eine Konkurrenzsituation und im besten Fall eine produktive dramaturgische Spannung. Erklingt eine Atmo, die zuvor – zum Beispiel mit Binauralmikrofonen (→ MIKROFON) – in demselben Wald aufgenommen wurde, entsteht ein besonderer Effekt: Die Sphären der Realität überlappen sich und werden ununterscheidbar. Bekannt für diese Form ist das Künstlerduo Janet Cardiff und George Bures Miller. Sie nennen das, was dabei entsteht, hyperreal, dritte Realität.
Atmo kann künstlich „gebaut“ werden (→ SOUND DESIGN), in dem Fall werden oft verschiedene Einzelgeräusche (Ebenen) übereinandergelegt.

Hier noch drei hilfreiche Aufnahmeregeln:
1. Kenne dein Equipment, teste und probiere alles vorher ausgiebig aus.
2. Bereite Aufnahmen gewissenhaft vor (um nicht vor Ort ohne Batterie dazustehen).
3. Höre immer alles mit dem Kopfhörer ab und korrigiere, falls Fehlerquellen auftauchen.
Die Initiative für dieses Projekt kam vom Kulturkosmos Leipzig e.V. Die inhaltliche Umsetzung lag bei den Soundmarkern, dem Labor für ortsbezogene Audioarbeiten. Technische und inhaltliche Beratung bekamen wir von Guidemate, der Plattform für Audiowalks.
Projektträger

Autor*innen
Beratung


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