Eine App zieht an
Noch nie haben wir so viel Aufmerksamkeit für das digitale Vermittlungsangebot eines Museums beobachtet wie in den letzten Wochen. Am 23. Januar 2017 wurde das Museum Barberini in Potsdam eröffnet. Bereits im Vorfeld gab es erstaunlich viele Pressebeiträge, die den Fokus auf den sogenannten Barberini-Guide legten, beispielsweise von rbb 24 , Mitteldeutscher Zeitung und Potsdamer Neuste Nachrichten. Das Interesse an der App hat mit der Eröffnung des Museums natürlich nochmals angezogen. Bereits nach einem Monat hatten 12.500 Menschen die App heruntergeladen und durchweg positive Kommentare und Bewertungen in den App-Stores hinterlassen.
In einer Diskussion widmet sich soundmarker dem außergewöhnlichen Interesse am Barberini-Guide.
Julia: Ich möchte mit einer Zusammenfassung des Barberini-Guides beginnen: Die App ist technisch sehr solide gemacht, inhaltlich umfangreich und wird ihrem multimedialen Anspruch gerecht. Zu vielen der vorgestellten Kunstwerke gibt es Audios und Abbildungen. Die Erläuterungen zu den Kunstwerken können auf verschiedene Arten aufgerufen werden, zum Beispiel indem man Nummern über die Tastatur seines Smartphones eingibt oder eine der angebotenen Touren auswählt wie „Impressionismus. Die Kunst der Landschaft“, „Das Museum Barberini in einer Stunde“ oder die „Kinder-Tour“. Der Nutzer entscheidet selbst, ob er die Erläuterungen hören oder lesen möchte. Außerdem gibt es Texte und Videos zu Hintergrundthemen wie der Geschichte des Hauses oder Hasso Plattner, den Stifter des Museums. Nutzer können außerdem Kunstwerke aus der App heraus über Soziale Netzwerke teilen.
Ruben: Die Barberini-App ist eine Bündelung von Informationen, die unter anderem verschiedene Audioguides enthält. Die App scheint mir von der Konzeption her schlüssig zu sein. Es macht Freude, sie zu öffnen und sich einen Überblick über die Angebote zu verschaffen. Ich habe noch nie einen virtuellen Rundgang gemacht, also mich auf meinem Bürostuhl einmal um mich selbst gedreht und mir auf meinem Smartphone dabei einen Raum angesehen, der sich mitbewegt. Aber nach kurzer Zeit ist die Freude daran auch vorbei. Da wird genutzt, was die Technik gerade hergibt. Das ist irgendwie ganz schön, aber zugleich frage ich mich, was davon in den nächsten fünf Jahren Bestand haben wird.
Julia: Ich bin unschlüssig. Was soll so ein virtueller Rundgang? Könnten die Nutzer nicht zu etwas Sinnvollerem animiert werden, als mit diesem Feature rumzudaddeln? Führt es weg von den Kunstwerken?
Massimo: Ich habe den Eindruck, dass das die App nicht ausmacht. Es ist so ein Leuchtturm-Gimmick. Und der taucht auch in den Zeitungsartikeln natürlich mehrfach auf: Das Museum wird erst am 23. eröffnet, aber man kann es sich jetzt schon in der App anschauen. Das zieht als Schlagzeile. Aber das ist nicht, was die App ausmacht. Das ist nicht der Grund, warum die Leute alle fünf Sterne im App-Store hinterlassen. Was die Leute begeistert, ist die klare Struktur, das intuitive Bedienen, die umfangreichen Informationen. Also eigentlich etwas ganz Elementares. Also nicht, dass sie 300 Spielereien kann oder technisch ausgefuchst ist, sondern dass sie das Grundlegende vermittelt und problemlos funktioniert. Das macht die Leute glücklich.
Ruben: Bei mir funktioniert sie nicht. Die App ist so anfällig. Die geht nicht aus. Die Programmierung ist für mein Gerät fehlerhaft. Ich habe mir einen Track angehört und dachte plötzlich: „Das habe ich eben schon mal gehört.“ Wenn ein Track zu Ende ist, geht er wieder von vorne los, wie ein Loop. Dann wollte ich auf „Weiter“ klicken, aber das ging nicht. Vielleicht ist das ein Android-Problem, wenn das bei euch nicht so war.
Massimo: Bei mir hat es technisch sehr gut funktioniert. Was ich aber schwierig fand, war die Orientierung im Museum. Das ging überhaupt nicht. Da hätte die App einen besser abholen können und konkreter sagen können, wo man hin soll. „Geh zu A6“ reicht nicht. Du weißt gar nicht, wo das sein soll: Im ersten oder zweiten Stock, dieser Flügel oder jener?
Julia: Ich habe auch viel Zeit damit verbracht, die Räume zu suchen. Die App versucht ja, einem Orientierung zu bieten durch diesen Lageplan, den man sich anschauen kann. Aber das Gebäude ist so komplex, dass man gar keine Lust hat, sich auf diesem kleinen Plan auf seinem Handy zu orientieren. Und dann irrt man eben doch eher durch das Gebäude und versucht, die entsprechende Nummer an einer der Türen zu entdecken.
Technisch hat es bei mir auch perfekt funktioniert. Außerdem gab es auch wesentlich mehr Informationen als ich es gewohnt bin und unterschiedliche Medien. Trotzdem hat die App bei mir den Eindruck hinterlassen, dass nicht wirklich viel Kreativität drin steckt. Was die Macher aus meiner Sicht sehr schlau gemacht haben, ist das redaktionelle Gerüst, eine Art Baukastenprinzip: Sie haben die vielen Tracks zu einzelnen Kunstwerken in verschiedenen Audiotouren verbaut und bieten dem Nutzer außerdem an, sie einzeln zu hören. Das ist innovativ im Gegensatz zu der Art wie die einzelnen Tracks und auch die Audiotouren funktionieren, die ziemlich klassisch sind.
Ruben: Ich habe mir die Tour zum Impressionismus und die Kinder-Tour angehört. Ich finde, wie so oft funktioniert die Kinder-Tour sehr gut. Da ist was hängengeblieben. Ich finde es schön zu erfahren, dass der Impressionismus nur durch eine Entwicklung möglich wurde: nämlich die Farben in der Tube. Vorher hat man mit Pulver gearbeitet. Das hätte man gar nicht mit nach draußen nehmen können. Es wäre viel zu schnell ausgetrocknet. Das ist doch toll!
Massimo: Ich habe die Audiotour zur Kunst in der DDR gehört – spannendes Thema. Aber ich habe mich wirklich gewundert, weil sie nicht das einlöst, was sie verspricht. In der Einführung spricht die Museumsdirektorin. Sie sagt, dass es natürlich schon viele Ausstellungen zu dem Thema gab, aber dass das Barberini den Fokus darauf richtet, wie die Künstler sich selber gesehen haben in diesem Spannungsfeld zwischen politischer und freier Kunst. Das finde ich eine interessante Frage, aber die Audiotour geht gar nicht darauf ein! Außerdem gibt es keinen inhaltlichen Bogen. Die Tour dauert ja insgesamt etwa 20 Minuten und besteht aus verschiedenen Tracks. Diese sind aber inhaltlich nicht miteinander verknüpft, sondern stehen losgelöst jeder für sich.
Ruben: Das ist das Problem. Wenn der Wunsch ist, dass alle Inhalte miteinander kombinierbar sind, ist es nicht möglich, Übergänge zu schaffen und einen Spannungsbogen aufzubauen, weil du nie weißt, in welcher Reihenfolge jemand was hören wird.
Massimo: Anstatt die Audiotouren aus einzelnen Tracks zusammenzustückeln, könnte man sich die Inhalte nochmals vornehmen und die Touren gesondert produzieren. Das wäre wahrscheinlich gar nicht so aufwendig.
Julia: Ja, oder eine andere Möglichkeit wäre, in den einzelnen Tracks zum Thema Kunst in der DDR nicht nur über die Kunstwerke zu sprechen, sondern diese auch in den Ausstellungskontext einzuordnen. Dann gäbe es zwar immer noch keine Übergänge, aber immerhin würde die Ankündigung der Direktorin, worum es geht, erfüllt werden.
Ruben: Und wie findet ihr Günther Jauch als Sprecher?
Massimo: Ich glaube, Günther Jauch macht was aus. Er ist kein dröger Sprecher und auch kein Akademiker. Der hat so was Plauderndes und Süffisantes, ohne dass er das Level ganz nach unten schraubt. Kann mir vorstellen, dass er so die Inhalte für viele Leute unterhaltsam und gleichzeitig mit Substanz vermittelt.
Julia: Natürlich kann man sich fragen, ob Günther Jauch eine authentische Figur ist, um diese Inhalte zu vermitteln. Aber ja, durch ihn wird der Zugang niedrigschwelliger. Und es ist etwas Besonderes, einen prominenten Showmaster als Sprecher für einen Audioguide zu engagieren. Was man eher gewohnt ist, sind unbekannte Sprecher oder bekannte Schauspieler, deren Stimme man kennt. Dass da jemand als Charakter etabliert wird, der einen durch das Museum führt, ist schon etwas Besonderes. Und genauso wie die frühe Veröffentlichung sorgt es natürlich für Aufmerksamkeit, dass Günther Jauch spricht.
Massimo: Ich habe mir gestern alle Rezensionen im App-Store angeschaut. Es gibt nur zwei mit einem Stern und sonst haben alle 103 fünf Sterne. Aber über Günther Jauch gibt es keinen einzigen Kommentar. Es geht immer in die Richtung: ist umfangreich, funktioniert gut, funktioniert intuitiv.
Julia: Wäre interessant zu wissen, ob die Leute auch fünf Sterne vergeben würden, wenn es keinen virtuellen Rundgang gäbe, wenn es keine Möglichkeit gäbe, Bilder über seine sozialen Netzwerke zu teilen etc. Auch wenn das in den Bewertungen nicht im Vordergrund steht, ist mein Eindruck, dass die Begeisterung auch so groß ist, weil es einfach ungewöhnlich ist, so eine komplexe, technisch einwandfreie App kostenlos herunterladen zu können. Aber das kann ja nicht das Ziel sein, wenn man einen Multimedia-Guide produziert. Im Vordergrund steht doch die Vermittlung von Inhalten. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich die App überzeugender gefunden hätte, wenn hierein mehr Energie investiert worden wäre und dafür von mir aus weniger ins Aufblasen der App.
Massimo: Die App funktioniert – zumindest auf dem Iphone – technisch gut und inhaltlich ist es nichts Besonderes, aber immer noch so gut, dass es für die meisten nichts auszusetzen gibt. Nur der letzte Schritt, redaktionell kreativ mit den Inhalten umzugehen, den machen sie nicht.
Julia: Was hätte man denn an kreativen, redaktionellen Ideen ausprobieren können? Die App ist ja ein Kommunikationsmedium, das im, aber bereits auch außerhalb des Museums funktioniert. Eine Idee wäre zum Beispiel, noch eine Tour anzubieten, bei der gar nicht vorgesehen ist, dass man davor oder danach ins Museum geht. Oder zum Beispiel eine Tour für Draußen, zum Beispiel durch Potsdam, die auf das Selbstbild von Künstlern in der DDR eingeht.
Massimo: Oder eine Tour durch die Natur, die auf brandenburgische Landschaftsbilder Bezug nimmt. Das sind sogar Ideen, die sich nachträglich ergänzen ließen, ohne am Rest etwas zu ändern.
Julia: Durch solche zusätzlichen Angebote würden sich für mich die Inhalte und die Technik mehr auf einer Ebene bewegen. Ich finde auch interessant, wie die Aktualität der Technik darauf abfärbt, wie etwas angenommen wird. Mit so einem alten Audioguide-Gerät durchs Museum zu laufen, gilt ja nicht als besonders cool. Aber dadurch, dass man jetzt mit seinem iPhone durchs Museum gehen kann, erfahren Audioguides wieder eine neue Wertschätzung. Obwohl sich inhaltlich kaum etwas getan hat. Es wäre ja gar nicht komisch gewesen, wenn die Texte der Barberini-App über eine Audio-Keule zu hören gewesen wären…
Ruben: Es ist gut, dass du das sagt, weil die Aufnahmen sind genau so produziert, als wären sie dafür bestimmt, dass man sie über ein Mono-Gerät, das man drei Zentimeter vom Ohr weg hält, hört. Nur in der Kinder-Tour gibt es mal ein bisschen Ambience. Da kommt mal ein Glockenläuten, wo ich mich frage: „Warum eigentlich an dieser Stelle?“ Aber trotzdem tauche ich in die Landschaft ein, weil ich denke, das ist der Kirchturm, der nicht auf dem Bild zu sehen ist, aber den man sich da vorstellen kann. Und das würde mit einer Keule auch nicht funktionieren.
Julia: Wobei viele ihr Smartphone ja wie eine Keule benutzen, wenn sie es wie beim Telefonieren an ihr Ohr halten und keine Kopfhörer benutzen.
Massimo: Die meisten in der Ausstellung hatten aber schon Kopfhörer. Die kann man sich ja auch leihen. Ich habe die Frau, die die Geräte im Museum ausgegeben hat, gefragt, wie die angenommen werden und sie war überhaupt nicht so positiv. Sie meinte, es gäbe viele Leute, die sich über die Technik beschweren. Ganz anders als diese ganzen Fünf-Sterne-Rezensionen.
Julia: Das war bei mir genauso. Aber ist ja auch klar: Die Leute, die kein Smartphone haben und sich da ein Gerät ausleihen, sind damit vielleicht überfordert und die Leute, die sich die App in den Stores runterladen, finden’s toll. Also, die Kommentare in den Stores sind eigentlich keine Messlatte dafür, wie der Barberini-Guide insgesamt wahrgenommen wird.
Foto: Ausstellungsansicht „Impressionismus. Die Kunst der Landschaft“, Museum Barberini, Photo: Helge Mundt, © Museum Barberini