Pfad für aufmerksames Hören: Soundwalk – Reduced to the Max

Pfad für aufmerksames Hören: Soundwalk – Reduced to the Max

Soundwalk mit katrinem
Soundwalk mit katrinem

Wir sind sind fünf Teilnehmende und werden von der Künstlerin katrinem instruiert: Sie wird die Performance leiten, die Geschwindigkeit durch ihre Schritte und die Richtung durch Handzeichen vorgeben. Der Soundwalk soll zum Hören einladen und deshalb schweigend geschehen. Gefragt werden kann vor dem Start und zum Abschluss. Und dann gibt es Notfallbändchen am Kostüm von katrinem, an denen man bei Bedarf ziehen soll.

Mit meiner Frage, an wen sich die Performance richtet, wer aufführend und wer rezipierend ist, werde ich auf das Ende des Soundwalks vertröstet.

Los geht‘s! katrinem beginnt einen eigentümlichen Marsch. In einem Tempo, das etwa meiner halben Schlendergeschwindigkeit entspricht, setzt sie Fuß vor Fuß. Das Schwingen ihrer Arme im Rhythmus ihrer Schritte wirkt in dieser Geschwindigkeit anstrengend, zu langsam, als dass es die Balance stärken könnte. Ich denke an die Soldaten vom Wachregiment Friedrich Engels, die ein paar hundert Meter von hier entfernt vor 30 Jahren jeden Mittwoch im Stechschritt vor der Neuen Wache aufzogen. Heute ist auch ein Mittwoch und wir folgen dem Klack Klack Klack von katrinems klingenden Hochzeitsschuhen. Wir sind Leisetreter und lassen uns vom gleichmäßigen Geklacker in die Klangwelt des alten Berliner Zentrums entführen. Von der Museumsinsel herunter zum Schinkelplatz und durch die Prinzengasse zur Friedrichswerderschen Kirche. Hier werden die letzten Arbeiten an den nigelnagelneuen Townhouses erledigt. Die Luxusbauten sind der Kirche bis auf wenige Meter auf den Leib gerückt und haben dabei ihr Kreuzrippengewölbe so in Mitleidenschaft gezogen, dass die Kirche bis auf weiteres geschlossen bleibt. Das erlese ich mir nach dem Soundwalk. Die Kirche ist stumm, und auch sonst ist hier, wo noch niemand in die Neubauten eingezogen ist, bis auf das Plätschern eines Springbrunnen kaum etwas zu hören.

Weiter gehen wir, am Außenministerium vorbei. Die Unterwasserstraße ist für Autos gesperrt. Hier kann ich sogar hören, dass ein vorbeirollendes Rennrad mal etwas Fett an der Kette gebrauchen könnte. Das Wehr am Kupfergraben rauscht. Wenn ich nicht wüsste, wo wir gehen, und nur den Soundtrack hätte, ich würde nicht erraten, dass wir durch das Herz der deutschen Hauptstadt spazieren. Ich höre Tauben, Krähen und Möwen. Und als wir die Hochschule für Musik passieren, höre ich einen Hahn schreien. Der muss aus der Konserve des Konservatoriums kommen. Gesprächsfetzen dringen im Lustgarten an mein Ohr, das Sprachenwirrwar ließe – im Ratespiel – einen Zusammenschnitt von Aufnahmen aus aller Welt vermuten. Doch hier ist nichts zusammengeschnitten, eher sind wir in einer großen Life-Improvisation unterwegs.

Die Glocken des Berliner Doms geleiten uns auf den letzten Schritten zurück zur Humboldt-Box. Ich bin grundentschleunigt und entspannt. Das herausfordernd geringe Tempo hat mich zur Ruhe gebracht, wie es sonst vielleicht eine Meditation vermöchte. Ich bin überrascht über die unerwartet große Bandbreite Berliner Klänge.

Dieser Soundwalk konzentriert sich auf die Essenz seines Genres: Das Gehen und das Hören. Es gibt keine weiteren Aufgaben zu erfüllen. Wir sollen nicht speziellen Klängen nachspüren, sind nicht aufgefordert, Geräusche zu produzieren. Das macht das Ereignis schlicht und zugleich angenehm unaufregend.

Was bleibt ist die Frage nach der Performance. Die holzschnittartige Bewegung der Künstlerin ist klar erkennbar als Inszenierung im öffentlichen Raum. Das Soldateske macht sie für mich zum bloßen Wegweiser, sie schlüpft nicht in die Rolle des erzählendes Subjektes. Und das obwohl sie zweifellos durch die Auswahl des Weges ihren künstlerischen Anteil an der Komposition hat, die uns die Stadt zu Gehör brachte. Performt hat hier also auch Berlin – zwar eine wahrhaft einmalige Sinfonie einer Großstadt.

Der Pfad für aufmerksames Hören ist eingebunden in die Ausstellung [laut] Die Welt hören, die noch bis zum 16.9.2018 in der Humboldt-Box am Schlossplatz läuft. Der Soundwalk findet mit katrinem noch einmal am 15.9.2018 um 13 Uhr statt, er ist aber auch individuell erlebbar mit Hilfe der hier herunterzuladenden Gehpartitur.

Weitere Infos: https://humboldtforum.com/de/veranstaltungen/pfad-fuer-aufmerksames-hoeren-6

Foto: Ruben Kurschat