Mythos Goldenes Dreieck

Mythos Goldenes Dreieck

Jeden Tag wächst das neue alte Berliner Stadtschloss ein kleines Stück. Bald soll es soweit sein, dass das Ethnologische Museum mit dem Umzug aus Dahlem beginnen kann. Die Perspektive auf die neue zentrale Lage hat die Verantwortlichen beflügelt, auch über die Art und Weise der Vermittlung neu nachzudenken. Das Humboldt Lab wurde gegründet – eine Plattform für Experimente, Diskussionen und Forschung. In diesem Rahmen ist auch der Audioguide zur Ausstellung „Mythos Goldenes Dreieck – Bergvölker in Südostasien“ entstanden. Um seinen besonderen Charakter hervorzuheben, haben die Macher Marie-Luise Goerke und Matthias Pusch (zusammen nennen sie sich Serotonin) ihm den etwas aufgesetzten Arbeitstitel „Audioguide Special – Storylines“ gegeben.

Während eines begrenzten Zeitraums konnten Besucher der Ausstellung Audioguides ausleihen. Das besondere an den Geräten, die nicht wie klassische Player, sondern eher wie Kopfhörer aussehen: Der Hörende wird in der Ausstellung geortet. Nicht durchs Knöpfe Drücken, sondern durch seine Bewegung steuert er das Abspielen von Tracks. Auf Fragen der Sprecher wie „Möchten Sie mehr über das Thema XY erfahren?“ soll er zukünftig außerdem mit Nicken oder Kopfschütteln antworten können. (Da es sich bei dem Gerät in der Ausstellung um einen Prototypen handelt, ist das bislang noch nicht möglich. Hier haben die Macher die Entscheidungen für den Hörenden bereits im Voraus getroffen.) Das wäre nicht mehr als eine nette technische Spielerei, wenn nicht die besondere Erzählhaltung hinzukommen würde. Denn, ob ich eine Nummer auswähle und Play drücke oder mich einem Exponat nähere, um etwas darüber zu erfahren, macht keinen großen Unterschied. Aber so funktioniert der Audioguide nicht. Die Macher beschreiben ihren Ansatz selbst so: „Den Blick schweifen lassen und trotzdem viel über die Ausstellung erfahren, ist das erklärte Prinzip unserer Arbeit. […] der Guide erzählt von den Dingen, die die Objekte verbinden, von den Objekten selbst erst in zweiter Linie.“

In der Praxis erlebe ich das so: Ich höre zum Beispiel einen Track mit dem Namen „Opium“. Wahrscheinlich wird dieser gerade abgespielt, weil ich mich in der „Opium-Ecke“ der Ausstellung befinde. Ich erfahre, dass sich die Situation im Goldenen Dreieck insofern verändert hat, als die Bevölkerung nicht mehr wie früher eine sich selbst versorgende Gemeinschaft ist, die nur für den eigenen Bedarf produziert, sondern mittlerweile Produkte oder Dienstleistungen anbietet, um an Geld zu kommen. Eines dieser Produkte ist Opium. Die Sprecherin fragt mich, ob ich mehr über Opium erfahren möchte. Wenn ich mich für Ja entscheide, wird die Vertiefungsebene abgespielt, in der ich konkrete Informationen zur Opium-Produktion bekomme und aufgefordert werde, mir das Opium-Ritzmesser anzusehen, das in einer der Vitrinen gezeigt wird.

Das zuvor beschriebene Prinzip, dass mir erzählt wird, was „zwischen“ den Objekten liegt, finde ich nicht ganz bestätigt. Vielmehr bekomme ich Hintergrundinformationen und kann, wenn ich möchte, diese am Beispiel eines konkreten Ausstellungsgegenstands vertiefen. Damit dreht Serotonin das Prinzip vieler Ausstellungs-Audioguides um, in denen häufig vom konkreten Objekt ausgegangen und dann zu allgemeinen Informationen übergeleitet wird. Wobei es auch beim Audioguide von Serotonin möglich ist, im Anschluss an die Beschäftigung mit einem Exponat, wie beispielsweise dem Ritzmesser, weitere Hintergrundinformationen zu bekommen.

Die Idee, dass Hörende – solange es keinen konkreten Bezug zu einem Exponat gibt – den Blick schweifen lassen, gefällt mir. Sie geht besonders gut auf, wenn sich zufällig Schnittstellen zwischen dem Gehörten und dem, was mir in den Blick fällt, ergeben. Doch ich muss zugeben, dass mir das ungewohnte Schweifen-Lassen des Blicks in Kombination mit dem Hören eines Audioguides etwas schwer fällt. Ich bin noch ungeübt in der Rezeption dieser Erzählstruktur und halte doch immer wieder Ausschau nach einem Exponat, das das Erzählte illustrieren könnte.

Wenn ich dann tatsächlich aufgefordert werde, ein konkretes Objekt anzusehen, lässt mir der Audioguide Zeit für die Suche, indem die Sprache von Musik unterbrochen wird – das ist gut durchdacht und zur Not bleiben einem immer noch die Pause- oder Spultasten am Kopfhörer. In der recht kleinen Ausstellung „Mythos Goldenes Dreieck“ macht das Suchen Spaß, weil man schnell fündig wird, bei größeren Ausstellungen stelle ich es mir mitunter frustrierend vor.

Die Musik ist für mich eines der Highlights des Audioguides. Sie wurde eigens für das Projekt komponiert und verarbeitet Originaltöne aus dem Ausstellungskontext. Die Komposition kreiert eine passende Atmosphäre, bringt Flow in das Hör- und Ausstellungserlebnis und ist eine sehr gelungene Versinnlichung des theoretischen Inhalts. Sonst ist der Audioguide aus den Komponenten Sprechertext, Originaltöne und Interviews zusammengesetzt. Die Produktion ist solide, die Sprecherin und der Sprecher sind Profis, die Texte verständlich, elegant und informativ.

Serotonin ist mit dem Audioguide ein vielversprechender Versuch gelungen, das Format Ausstellungs-Audioguide ein Stück weiter in eine innovative Richtung zu bewegen. Die Macher krempeln bekannte Konzepte zwar nicht komplett um, drehen aber an den Schrauben Musik, Erzählstruktur und Technik. Das Ergebnis unterscheidet sich von vielen herkömmlichen Audioguides indem es der Ausstellung nicht lediglich eine weitere Ebene hinzufügt. Vielmehr entsteht ein eigenständiges Format. Mein Eindruck ist, dass es zwar etwas Übung im Umgang mit diesem neuen Format braucht. Ist aber die Rezeptionshaltung einmal gelernt, ergeben sich durch das Konzept von Serotonin neue, interessante Erzählmöglichkeiten – eine gute Perspektive für Macher und Hörer von Ausstellungs-Audioguides.

Zum Nachhören:

Die Ausstellung wurde am 16. Dezember 2011 eröffnet und läuft bis auf weiteres. Die Audioguide-Geräte waren zuletzt nicht mehr in der Ausstellung ausleihbar. Alle Tracks sind aber auf Soundcloud hörbar.

Über die Macher:

Der Audioguide wurde realisiert von der Berliner Gruppe Serotonin, die aus der Autorin Marie-Luise Goerke und dem Toningenieur und Komponisten Matthias Pusch besteht. Für die musikalische Begleitung des „Audioguide Special – Storylines“ haben sie den Komponisten Martin Daske hinzugezogen. Serotonin realisiert Hörbücher, Hörspiele, Radio-Features und Klanginstallationen.

Foto: Martine Augait, 2011

  • Prototyp eines gestengesteuerten Kopfhörers © Serotonin